WELTGo!
Journalismus neu erleben und produktiver werden
Ihr Assistent Journalismus neu erleben und produktiver werden
WELTGO! ENTDECKEN
  1. Home
  2. Kultur
  3. Film
  4. Trailer&Kritik: Die kritische Kinodokumentation „Pre-Crime“

Film Doku „Pre-Crime“

Ein Klub, aus dem man nicht austreten kann

Filmredakteur
„Pre-Crime“ - Wenn Algorithmen Straftäter vor der Tat erkennen

Mit Hilfe von Algorithmen wird vielerorts bereits jetzt vorhergesagt, wer wann wo welches Verbrechen begehen wird. Doch was wenn die Computer sich irren? Ein Dokumentarfilm über die Wahl zwischen Freiheit und Sicherheit.

Quelle: Rise and Shine

Autoplay
Machtübernahme der Algorithmen: „Pre-Crime“, die kritische Kinodokumentation von Matthias Heeder und Monika Hielscher, untersucht die Methoden, mit denen die Polizei Straftaten vorhersehen will.

Der Dokumentarfilm „Pre-Crime“ schwelgt in nächtlich funkelnden Stadtlandschaften, in Draufsichten wie von Drohnen und Bildern wie aus Computerspielen, wo ein Ziel automatisch auf seinem Weg verfolgt wird.

Es sind Bilder aus Kriminalitätsschwerpunkten wie Chicago und Überwachungsmetropolen wie London, und man denkt: Von Deutschland sind diese Szenarien doch weit entfernt.

Und dann fällt einem der Juli in Hamburg ein, der G-20-Gipfel, bei dem 32 Journalisten ihre Akkreditierung entzogen bekamen, wegen „Sicherheitsbedenken“. Die „Bedenken“ entsprangen polizeilichen oder nachrichtendienstlichen Dateien. Was sich bei vieren als nachweislich falsch herausstellte, bei den 28 anderen mauern die Behörden.

Lesen Sie auch

Das schlagendste Beispiel für die Anwendung von „Pre-Crime“ kam zu spät für diese Kinodokumentation, demonstriert aber perfekt das System: Es werden nicht nur verurteilte Straftäter gespeichert, sondern zusätzlich Menschen, die – auf welche Art auch immer – mit Straftaten in Berührung kamen, und sei es als Opfer.

Die Theorie, auf der die Algorithmen beruhen, mit denen man Verbrechen vorauszusagen versucht, lautet: Wer ein Verbrechen beging, könnte ein zweites begehen. Und: Wer einmal Opfer eines Verbrechens wurde, wird mit erhöhter Wahrscheinlichkeit wieder ein Opfer. Und die Menschen im Umfeld auch.

Daraus lassen sich gefährdete Gebiete berechnen. Damit will man aber auch Individuen identifizieren, die vielleicht noch nie eine Straftat begangen haben, aber aufgrund ihres Umfelds möglicherweise eine begehen könnten. Die Polizei von Chicago hat damit eine „Heat List“ von 400 Personen (die meisten dunkelhäutig) erstellt, die sie für hochgradig verbrechensfähig hält.

Pre-Crime Ein Dokumentarfilm von Monika Hielscher und Matthias Heeder
Was sieht man da, was übersieht man da? Eine Bildschirmwand aus "Pre-Crime" von Monika Hielscher und Matthias Heeder
Quelle: RISE AND SHINE CINEMA

Das führt dazu, dass es in „Pre-Crime“ an der Tür eines jungen Schwarzen klopft. Draußen stehen zwei Beamte, sie eröffnen ihm, er stehe auf der Heat-Liste und werde von nun an genau beobachtet. In London wiederum erhalten bestimmte Einwohner (meist dunkelhäutig) ein Anschreiben der Polizei, das ihnen ihre Überwachung bescheinigt: „Sie müssen Ihren Lebensstil ändern.“

Es ist, als habe Hollywood das reale Leben übernommen. Vor anderthalb Jahrzehnten schilderte Steven Spielbergs „Minority Report“ eine Zukunftsgesellschaft – im Jahr 2054 –, in der die Abteilung Precrime der Washingtoner Polizei Morde vorauszusagen versucht.

Sie bedient sich dazu dreier Menschen mit hellseherischen Fähigkeiten, und aufgrund dieser Visionen werden die „Mörder“ verhaftet und ohne Prozess eingesperrt, eine präventive Sicherheitsverwahrung sozusagen.

Wie zuverlässig sind eigentlich die Daten?

Anzeige

Das Konzept von Sehern ist für unsere versicherheitlichte Gesellschaft dann doch zu melodramatisch, und so werden sie durch Algorithmen ersetzt. Es sind mathematische Modelle, die Wesentliches außer Acht lassen, vor allem soziale Ursachen und Dynamiken von Verbrechen.

Matthias Heeders und Monika Hielschers Dokumentation macht keinen Hehl aus ihrer Skepsis und stellt kritische Fragen, auch die nach der Zuverlässigkeit der verwendeten Daten.

Bei einem der G-20-„Gefährder“ lag eine Personenverwechslung vor, bei einem anderen wurde ein Freispruch nicht vermerkt, bei einem dritten Daten zu Unrecht nicht gelöscht. Und das bei Dateien, bei deren amtlichen Erstellern – hier wenden wir die Unschuldsvermutung einmal an – doch Sorgfalt waltet.

Die Behörden in Amerika kaufen ihre Daten hingegen von kommerziellen Anbietern, vielleicht von Facebook, Google oder Twitter. Und wer einmal aus Versehen Mitglied im Heat-List-Klub wurde, kann kaum austreten. Selbst wenn man unwahrscheinlicherweise von seiner Mitgliedschaft erfährt.

Mehr aus dem Web
Neues aus der Redaktion
Auch interessant
Mehr zum Thema